Ein Gastbeitrag von Nicola Lerche
Was würden Sie in einem Vorstellungsgespräch von sich preisgeben, wenn Sie sich selbst beschreiben müssten? Vermutlich würden Sie zuerst einmal auf Ihre Stärken eingehen, die Schwächen eher aussparen. Schließlich wollen Sie den Job und sich dementsprechend gut „verkaufen“. Dennoch erwartet der potentielle Arbeitgeber, dass Sie ein realistisches Bild von sich zeichnen. Das ergibt einen gewissen Zwiespalt.
Auch Medienunternehmen befinden sich in einem solchen Dilemma, wenn sie über sich selbst oder ihre Branche berichten. Denn auf der einen Seite erwarten die Mediennutzer von ihnen, dass sie objektiv und sachlich informieren, sie sollen der Orientierung dienen, aufklären und eine Kritik- und Kontrollfunktion ausüben. Auf der anderen Seite sind Medienunternehmen Wirtschaftsunternehmen, die sich auf dem Markt gut ‘verkaufen’ wollen.
Die Berichterstattung über Medienwirtschaft ist dabei unweigerlich mit deren Marktposition verknüpft. Wird über den wirtschaftlichen Status eines Unternehmens berichtet, so werden ökonomische Daten öffentlich preisgegeben, die auf wirtschaftliche Prozesse und Entscheidungen oder das Rezipientenverhalten Einfluss nehmen können. Ökonomischer Erfolg und steigende Umsätze ermöglichen den Einsatz vermehrter Ressourcen auf publizistischer Seite. Leistungsfähigkeit und qualitativ hochwertige Inhalte wiederum fördern die Akzeptanz und Nachfrage auf dem Markt, v.a. auf dem Werbemarkt, der wichtigsten Finanzierungsquelle der Medien. Umgekehrt kann ein schlechtes Image eine geringere Nachfrage bewirken, die zudem zu Umsatzeinbußen und Sparmaßnahmen und folglich auch zu Beschränkungen auf publizistischem Gebiet führen kann. Die Außendarstellung trägt damit maßgeblich dazu bei, ob sich der Marktwert eines Medienunternehmens erhöht oder verringert.
Die Wirtschaftsberichterstattung über Medienunternehmen entwickelt sich zu einer ökonomisch-publizistischen Spirale, wobei sich Journalisten bei der Selbstthematisierung des eigenen Medienunternehmens aufgrund der eigenen Betroffenheit auf einem schmalen Grad bewegen. Da ist zum einen die unternehmerische Sicht, die sich nach Profit- und Gewinnstreben ausrichtet und zum anderen die gesellschaftliche Forderung nach journalistischen Qualitätsansprüchen.
Dieser Zwiespalt birgt die Gefahr, dass über Medienunternehmen aufgrund ökonomischer Eigeninteressen gezielt und in einer bestimmten Weise berichtet wird. Spielt hier Wettbewerbsdenken eine Rolle? Ist die journalistische Unabhängigkeit überhaupt noch gewährleistet, wenn Medien über Medienunternehmen als Wirtschaftsunternehmen berichten und somit über sich selbst und die jeweiligen Konkurrenten?
Meine Studie „In den Fängen der Ökonomie. Ein kritischer Blick auf die Berichterstattung über Medienunternehmen in der deutschen Tagespresse“ beschäftigt sich mit dieser Problematik und untersucht speziell die Berichterstattung der überregionalen Zeitungen über ihr eigenes Unternehmen und über andere Medienunternehmen unter verschiedenen konjunkturellen Bedingungen.
Die Ergebnisse der Studie weisen darauf hin, dass weitgehend systematische Differenzen in der Berichterstattung über Medienunternehmen vorliegen. Es lassen sich eindeutig Aspekte erkennen, die auf eine Dominanz ökonomischer Überlegungen bei der Darstellung der Medienunternehmen hinweisen. Auch zeigen einige Ergebnisse der Studie, dass zusätzlich die jeweiligen konjunkturellen Bedingungen am Medienmarkt eine Wirkung auf die publizistische Art und Weise haben, wie Medienunternehmen präsentiert werden. Das ist brisant. Denn eine tendenziöse Berichterstattung über die Medienbranche getrieben von Eigeninteressen bedeutet eine Beeinflussung ökonomischer Folgeprozesse. Der redaktionelle Inhalt wird zum Public Relations (PR)-Instrument.
Erwartungsgemäß zeigte sich in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine Zunahme der Häufigkeit der Berichterstattung. Auf den ersten Blick scheint es, dass hier die üblichen journalistischen Selektionskriterien greifen, denn in Krisenphasen besteht allgemein mehr Erklärungsbedarf. Die Medienunternehmen werden dabei umfangreicher, komplexer und stärker charakterisierend dargestellt. In einer konjunkturell starken Phase dagegen ist das nicht nötig. Tatsächlich konnte in der Boomphase der Medien eine gewisse Zurückhaltung in der wirtschaftlichen Aussage festgestellt werden. Die Phasen verschiedener Wirtschaftslagen scheinen jeweils über eigene Nachrichtenwerte zu verfügen und auf die Selektion bei der Thematisierung von Medienunternehmen einzuwirken. Aufschluss über eventuelle ökonomische Einflüsse der berichtenden Zeitung auf die Selektion geben die Ergebnisse aber erst, wenn man die Verteilung der Häufigkeiten in Zusammenhang mit dem Konkurrenzfaktor betrachtet.
Bezeichnend ist, dass die überregionalen Zeitungen über das eigene Haus wesentlich häufiger schreiben als über die anderen Medienunternehmen und das unabhängig von der allgemeinen konjunkturellen Lage. Die Thematisierung von Konkurrenzunternehmen wiederum erfolgt umso häufiger, je direkter ihr Konkurrenzverhältnis zur berichtenden Tageszeitung ist, so dass am meisten über die anderen überregionalen Zeitungen berichtet wird. So scheinen die Nachrichtenwerte „Nähe“ und „Betroffenheit“ bei der Selektion von Relevanz zu sein. Daraus resultiert die Frage, ob die Thematisierungshäufigkeit wirklich mit journalistischen Selektionskriterien korreliert oder ob der Nachrichtenwert bei der Berichterstattung über das eigene Unternehmen „künstlich“ angehoben wird?
Die Vermutung liegt jedenfalls nahe. Denn Berichte über das eigene Haus sind meist eigenrecherchiert, Agenturmeldungen werden nur selten herangezogen. Der Journalist entscheidet darüber, wann, wie oft und welche Information des eigenen Unternehmens zur Nachricht erhoben wird. Hinzu kommt, dass die Quellen nicht transparent sind, denn meistens wird lediglich auf die „Redaktion“ hingewiesen. Die Recherchequellen könnten also zweckgebunden und nach ökonomischen Eigeninteressen eingesetzt worden sein, so dass der Einfluss der hausinternen PR-Abteilungen zum Tragen kommt. Vom Unternehmerischen her wäre eine nachhaltige Rezeption des eigenen Hauses natürlich wünschenswert, noch dazu, wenn sie positiv ausfällt.
Würde eine positive Darstellung tatsächlich aktiv und zielgerichtet gefördert werden, müssten die üblichen journalistischen Selektionskriterien hinter anderen Mechanismen zurücktreten. In der Studie zeigt sich, dass der positive Nachrichtenfaktor ‘Erfolg’ beim eigenen Unternehmen und bei dessen Beteiligungsunternehmen eindeutig häufiger zu einer Selektionsentscheidung führt als bei anderen Medienunternehmen. Der hohe Nachrichtenwert von Negativmeldungen (z.B. ‘Schaden’, ‘Bedrohung’) ist deutlich weniger der Auslöser für einen Artikel. Bei der Berichterstattung über konkurrierende Tageszeitungen dagegen kommt es im Fall von Negativismus durchaus zu einer positiven Selektionsentscheidung, was ja eigentlich den üblichen Auswahlkriterien entspricht. Bei der Selbstthematisierung scheinen somit ‘spezielle’ Selektionskriterien zu gelten. Das eigene Unternehmen wird nicht nur häufiger in den Fokus der Berichterstattung gestellt, sondern auch vornehmlich in Zusammenhang mit positiven Ereignissen. Haben hier also doch ökonomische Interessen Einfluss auf die publizistische Darlegung?
Dieser Verdacht erhärtet sich, wenn man die Form und die Wertungstendenz der Darstellung betrachtet. Wieder hat die Berichterstattung über das eigene Haus eine Sonderstellung. Hier nimmt der Journalist am wenigsten meinungsäußernd und wertend Stellung. Es dominiert die informierende, faktische, mit meist positiven Zahlen belegte Darstellung. Man vermeidet Spekulationen und berichtet nur das Notwendigste über den eigenen wirtschaftlichen Status. Die Situation des Unternehmens in Krisenzeiten wird eher über betriebswirtschaftliche Fakten und externe ökonomische Einflüsse erklärt. Folgerichtig sind Beiträge über das eigene Haus überwiegend im Wirtschaftsressort platziert. Werden andere Quellen zitiert, stammt der Aussageträger fast immer aus dem Unternehmen selbst, wodurch die Berichterstattung eher den Ruch einer Art Pressemitteilung bekommt.
Artikel über die Konkurrenz dagegen findet man eher im Medienressort, in dem sich mehr meinungsäußernde Darstellungsformen finden, die die Unternehmenssituation mit geringerer Faktizität erklären. Es wird mehr interpretiert und spekuliert, wodurch auch die Möglichkeit einer Meinungsmanipulation besteht, gerade wenn es um direkte Konkurrenten geht. Zitierte Aussageträger stammen hier nur selten aus dem thematisierten Unternehmen, es werden vermehrt fremde Quellen genutzt.
Die Betrachtung der Wertungstendenz im Speziellen ergibt ein weiteres überraschendes Ergebnis. Das eigene Unternehmen wird zwar erwartungsgemäß positiver dargestellt als andere, dem Vorwurf der ‘Konkurrenzbeschimpfung’ aber will man sich nicht aussetzen. Es wird nicht versucht, über Wertungen die Leistungsfähigkeit der konkurrierenden Zeitungen diffamierend in Frage zu stellen. Sie werden eher ambivalent bewertet. Es geht insgesamt weniger um eine Herabsetzung der Konkurrenz, als um ein Absetzen des eigenen Hauses durch positive Selbstdarstellung. Es kristallisiert sich heraus, dass es sich bei der Beobachtung des eigenen Hauses um einen ‘blinden Fleck’ handelt. Es wird häufiger und, getrieben durch eine spezielle Selektivität, vor allem positiv berichtet. Journalistische Kommunikation wandelt sich durch diese Form der medialen Selbstinszenierung und Selbstpositionierung zu PR für die eigene Zeitung. Es kommt zur Verschmelzung von journalistischer Arbeit mit Medien-PR. Dies erfolgt zudem unter dem Deckmantel der Nachrichten, so dass die Verquickung mit Unternehmens-PR für den Leser nicht immer erkennbar ist. Der Journalist wird zum Erfüllungsgehilfen der Eigenreklame. Zwar bleiben die journalistischen Qualitätsansprüche nicht ganz auf der Strecke, doch werden sie eindeutig vom ökonomischen Denken hinsichtlich der eigenen Stellung auf dem Wirtschaftsmarkt überlagert. Der Journalismus neigt im Falle der Selbstthematisierung dazu, sich ökonomischen Ansprüchen des eigenen Unternehmens unterzuordnen, was enorme Gefahren für den gesellschaftlichen Anspruch der Medien birgt.
Der Journalist verfügt durch seine Art der Darstellung über ein großes Machtpotenzial, um die öffentliche Meinungsbildung zu beeinflussen. Er muss sich dieser Verantwortung bewusst sein und sich von wirtschaftlichen Überlegungen seines Verlages frei machen. Schließlich gehören Glaubwürdigkeit, Transparenz, Objektivität und Sachlichkeit zu den Eckpfeilern eines qualitativ hochwertigen Journalismus. Letztlich muss sich ein Medienunternehmen die dauerhafte Akzeptanz nicht über wirtschaftliche Stabilität, sondern über guten Journalismus erarbeiten. Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Mediennutzer auf die ökonomische Ausrichtung des Journalismus reagiert.
Gehen wir noch einmal zum Anfangsbeispiel zurück. Der Bewerber wird eingestellt, kann jedoch die hohen Erwartungen, die man aufgrund seiner Selbstdarstellung hat, nicht erfüllen. Was passiert? Die Schlussfolgerung bleibt – im einen wie im anderen Fall – Ihnen überlassen.
Über die Autorin
Dr. Nicola Lerche, M.A., ist praktizierende Syndikusrechtsanwältin, Mediatorin und Kommunikationswissenschaftlerin. Sie promovierte am Lehrbereich Prof. Dr. Fröhlich im Jahre 2009.
Literatur
Pointer, N. (2010). In den Fängen der Ökonomie. Ein kritischer Blick auf die Berichterstattung über Medienunternehmen in der deutschen Tagespresse. Wiesbaden: Springer VS.