Ein Gastbeitrag von Oliver Quiring
Als Romy Fröhlich, Sven Engesser und der Autor dieses Beitrags um das Jahr 2008 begannen, an einem gemeinsamen Paper zum partizipativen Journalismus , seinen Hintergründen, den Merkmalen, Einstellungen und Motiven der unentgeltlich an entsprechenden Plattformen beteiligten Mediennutzer zu arbeiten (Fröhlich, Quiring, & Engesser, 2012), wussten wir so gut wie nichts darüber, mit welcher Spezies wir es zu tun hatten und welche hellen oder finsteren Mächte sie in ihrem Tun antrieben. Es galt: „not much is known about participatory journalists in Germany or further afield” (Fröhlich et al., 2012 S. 1041).
Zwar teilten wir von Anfang an dezidiert nicht die allseits zu beobachtende Euphorie hinsichtlich der mit dem partizipativen Journalismus verbundenen journalistischen und demokratischen Zukunftsvisionen (vgl. z.B. Bowman & Willis, 2003), die Thorsten Quandt jüngst in seinem äußerst lesenswerten Beitrag zur „Dark Participation“ so lebendig und mit einer gehörigen Portion Humor beschrieben hat (Quandt, 2018). Wir unterstellten unseren Befragten sogar niedere Motive („idiosyncratic self-interest, Fröhlich et al., 2012, S. 1041) und waren dabei gar nicht besonders realitätsfern. Stellten wir doch fest, dass sich hinter den von uns befragten „Freiwilligen“ tatsächlich rund ein Drittel Profis verbarg, dass diese überdurchschnittlich gut gebildet waren und sich bei der Themenselektion vor allem von eigenen Interessen, aber eben auch von ihren Gefühlslagen leiten ließen. Zudem waren die meistgenannten Motive weniger am Gemeinwohl orientiert als schlicht selbstbezogen (sich kreativ austoben zu können, die Faszination, SELBST Artikel publizieren zu können und auch, Freude durch positives Feedback und den damit verbundenen Reputationsgewinn in der Community zu empfinden). Dabei zeigten die Befragten jedoch durchaus das Bestreben, Ihr Tun ethisch zu reflektieren und gesellschaftlich wichtige Funktionen der Information, Meinungsbildung und Kritik und Kontrolle wahrzunehmen. So weit, so harmlos.
Was vor allem an der Auswahl des Untersuchungsgegenstandes lag. Und dem Fehlen anderer. Unser Sujet war myheimat.de, eine hyperlokale Internetplattform, auf der sich eine bunte Mischung aus Profis und Hobbyjournalisten tummelte (und übrigens noch immer tummelt), die vor allem über sonst eher vernachlässigte regionale Ereignisse berichtete und dabei regen Zuspruch erhielt und erhält. In einer Zeit, in der Ohmynews (genau, was war das gleich nochmal?) von einigen zur bedeutendsten südkoreanischen Nachrichtenwebsite und zum internationalen Vorbild für die Zukunft des Journalismus erklärt wurde, war die Auswahl jedoch nicht so ungewöhnlich. Kein Wort zu Nutzerkommentaren, keines zu Facebook, Youtube, Twitter oder Instagram. Von polit-strategisch motivierten Onlinepublikationen im Zeitungslayout, aber mit eher eingeschränktem Realitätsbezug, ganz zu schweigen. Das ist gerade mal zehn Jahre her. Oder, wenn man den Zeitpunkt des Erscheinens des Artikels heranzieht: sechs Jahre.
Die Kehrseiten der neu gewonnen Nutzerfreiheiten und der entsprechenden Partizipation sind bereits so breit besprochen (vgl. z.B. Quandt, 2018; Schweiger, 2018), dass sich eine ausführliche und damit redundante Schilderung an dieser Stelle erübrigt. Die Debatte um Trolle, Hate Speech, Fake News, Desinformationskampagnen, alternative Webseiten, Bots, Echo Chambers und Filter Bubbles – so sinnig oder unsinnig sie teilweise auch geführt werden mag – zeigt Wirkung. Zunächst ist zu beobachten, dass traditionelle Redaktionen und Medienunternehmen ihre Nutzer zwar pflegen, aber online zunehmend einengen. So haben nicht wenige Onlinezeitungen ihre Kommentarsektion ganz aufgegeben. Von den ursprünglich als weitgehend offen angedachten Bürgerjournalistenplattformen, wie z.B. Ohmynews International, ist so gut wie nichts übrig geblieben. Und selbst die braven kleinen Geschwister dieser Angebote, wie z.B. der Merkurist, beschränken Nutzer eher auf die Rolle der Empfehlenden, lassen aber wenig aktive Partizipation in der Nachrichtenerstellung zu. Selbst die einfachste Form der Nutzerpartizipation, nämlich die Onlinekommentierung wurde im letzten Jahr weitgehend gesetzlich reguliert. Wer je die Chance hatte, sich in die in Massen gelöschter Kommentare zu vertiefen, wird dafür in vielen Fällen zumindest in Ansätzen Verständnis aufbringen. Dennoch: wie lässt sich die bereitwillige Aufgabe von Freiheitsrechten durch die Nutzer eigentlich erklären?
Eine Antwort darauf lässt sich in den Mainzer Studien zum Medienvertrauen finden (vgl. Schultz et al. 2017; Ziegele et al., 2018): die ausufernde Debatte um die negativen Folgen der Partizipation hat die Bevölkerung deutlich verunsichert. So gaben in der bevölkerungsrepräsentativen Umfrage (Deutschland, ab 18 Jahren) aus dem Jahr 2017 rund drei Viertel der Befragten an, Fake News und Hate Speech (natürlich ohne Definition abgefragt) seien ein reales gesamtgesellschaftliches Problem. Ebenso viele riefen nach gesetzlicher Regulierung. Zudem hatte die Debatte dazu beigetragen, dass das Vertrauen in traditionelle und etablierte Medien recht stabil blieb, während Social Media Angebote und alternative Webseiten ohne etablierten Markenkern einen starken Vertrauensverlust von 2016 auf 2017 hinnehmen mussten. Zusammengefasst: Nutzer misstrauen zunehmend Angeboten, die (neben durchaus real bedenklichen Einflüssen) Nutzereinfluss ermöglichen. Die gesellschaftlichen Folgen sind noch nicht überschaubar.
Diese Entwicklungen haben aber noch eine weitere, bisher kaum beachtete Konsequenz, die für unser Feld unmittelbar relevant ist. Das weitgehende Versagen partizipativer Ansätze im Journalismus, die gezielte Nutzung der vorhandenen Freiräume durch strategische Akteure und das damit verbundene Misstrauen, das in großen Teilen der Bevölkerung gegenüber unklaren Quellen, unklarer Faktenlage etc. herrscht, stellt eine bedeutende Chance für den professionellen Journalismus dar, sich zu profilieren und den Sinn von Professionalität ins Gedächtnis zu rücken. Ob der professionelle Journalismus die damit verbundenen Chancen – wie beim Einstieg in die Digitalisierung – wieder verpasst oder ausgiebig nutzt, steht aktuell alles andere als fest.
Wie geht es also weiter? Bitte fragen Sie niemanden, der noch vor zwölf Jahren prognostizierte, dass wohl kein Mensch so verrückt sein würde, auf dem Mobiltelefon fernsehen zu wollen….
Über den Autor
Oliver Quiring ist Oliver Quiring und außerdem Professor für Kommunikationswissenschaft am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zur Zeit ist er stellvertretender Haushaltsvorstand.
Literatur:
Bowman, S., & Willis, C. (2003). We Media: How Audiences Are Shaping the Future of News and Information. Reston, VA: AmeriCan Press Institute.
Fröhlich, R., Quiring, O., & Engesser, S. (2012). Between idiosyncratic self-interests and professional standards: A contribution to the understanding of participatory journalism in Web 2.0. Results from an online survey in Germany. Journalism, 13(8), 1041–1063.
Quandt, T. (2018). Dark Participation. Media and Communication, 6(4), 36-48.
Schultz, T., Jackob, N., Ziegele, M., Quiring, O., & Schemer, C. (2017). Erosion des Vertrauens zwischen Medien und Publikum? Media Perspekiven, 2017(5), 246–259.
Schweiger, W. (2017). Der (des)informierte Bürger im Netz. Wie soziale Medien die Meinungsbildung verändern. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Ziegele, M., Schultz, T., Jackob, N., Granow, V., Quiring, O., & Schemer, C. (2018). Lügenpresse-Hysterie ebbt ab: Mainzer Langzeitstudie “Medienvertrauen”. Media Perspekiven, 2018(4), 150–162.