(Krisen-)Kommunikation und Hochschullehre in der PR

Ein Gastbeitrag von Simone Huck-Sandhu und Swaran Sandhu

Als Hochschullehrer/in im Bereich PR und Unternehmenskommunikation mangelt es uns nicht an praktischen Beispielen für die Lehre. Im Gegenteil: Die Herausforderung besteht darin, die Praxis angemessen zu reflektieren und zu erklären. Doch manchmal gibt es Fälle, die wir auch aus der kritischen Distanz der Wissenschaft nicht so schnell vergessen. Der Bezug zu aktuellen Fällen aus der Praxis ist uns wichtig. Auch Romy Fröhlich sucht regelmäßig den Bezug zur Berufspraxis, sei es durch ihre persönliche Erfahrung im Berufsfeld, über berufssoziologische Studien, Fragen der PR-Ethik oder auch im Bereich der internationalen Konfliktforschung. In diesem Essay greifen wir ein Fallbeispiel auf, das internationale, ethische und strategische Fragestellungen vereint und das auch Romy Fröhlich intensiv verfolgte.

 

Der 24. März 2015 und seine Folgen

Als am 24. März 2015 – einem Dienstagvormittag – die ersten Meldungen über den Verlust einer Germanwings-Maschine über die Ticker liefen, waren wir auf dem Sprung in unsere PR-Vorlesungen an der Hochschule Pforzheim und der Hochschule der Medien Stuttgart. In den Meldungen hieß es, der Funkkontakt zu einer Germanwings-Maschine auf dem Weg von Barcelona nach Düsseldorf sei abgebrochen. Innerhalb von Minuten wurde in Massenmedien und auf Social Media-Plattformen über einen Absturz spekuliert. Schnell kursierten Gerüchte über einen möglichen Terroranschlag, war doch erst zwei Wochen zuvor eine Malaysia Airlines-Maschine auf dem Weg von Kuala Lumpur nach Peking verschwunden, der Fall bis dahin ungeklärt.

Noch während unserer Vorlesungen kamen die ersten Live-Feeds, Tweets und Mutmaßungen online. Wir waren mitten drin in der mediatisierten, „permanently online, permanently connected“-Lebenswelt unserer Studierenden. Kann man sein normales Lehrprogramm absolvieren, während sich außerhalb des Seminarraums eine Krise und Krisenkommunikation in Echtzeit entfaltet?

 

Erstes Video-Statement von Carsten Spohr

https://www.youtube.com/watch?v=Plnhh1QELag

 

Der Fall von Germanwings-Flug 4U9525 war ein besonderer, denn er nahm eine Wendung, die niemand hätte vorausahnen können – weder die Lufthansa noch die Angehörigen, die Ermittler, Flugsicherheitsexperten oder externen Krisenbeobachter wie wir selbst. Die Radaraufzeichnungen der Flugsicherung (der Flugschreiber war zu dem Zeitpunkt noch nicht gefunden) belegten, dass der Airbus aus der Reiseflughöhe in einen linearen Sinkflug ging, bevor er in einem Gebirgsmassig in den französischen Alpen zerschellte. Der später gefundene Voice-Recorder zeigte: Der Co-Pilot hatte die Cockpit-Tür verriegelt, als der Pilot das Cockpit kurzzeitig verlassen hatte, und bewusst einen rund zehnminütigen Sinkflug eingeleitet. Währenddessen versuchte der Pilot erfolglos, die Cockpit-Türe mit einer Axt aufzubrechen. Der erweiterte Suizid des Co-Piloten führte zum Tod von 144 Passagieren und sechs Crew-Mitgliedern.

 

Exklusives Interview von Spohr mit CNN zwei Tag nach dem Absturz

 

In unseren Vorlesungen an jenem 24. März und in den Wochen danach verfolgten wir den Fall gemeinsam mit unseren Studierenden: Wir zogen das Thema Krisenkommunikation im Vorlesungsplan nach vorne, analysierten Woche für Woche gemeinsam Twitter-Meldungen, Pressekonferenzen und die Reaktion in Social Media sowie der Presseberichterstattung entlang der verschiedenen Krisentheorien. Wir sprachen über Medienarbeit, interne und Online-Kommunikation, über CEO-Kommunikation, Glaubwürdigkeit, ethische Fragen und symbolische Kommunikation.

 

Schweigeminuten und symbolische Kommunikation

 

Der Fall, und vor allem die Bilder aus den Tagen und Wochen nach dem Unglück, gingen uns unter die Haut. Als wir 2016 die Anfrage erhielten, ob wir einen Beitrag für den Sammelband „International Case Studies in Public Relations“ schreiben wollten, waren wir uns sofort einig: Es sollte der Germanwings-Case werden (Sandhu & Huck-Sandhu 2017). Während wir die Krisenkommunikation aus Perspektive der PR-Forschung beleuchteten, führten Clarissa Schöller und Romy Fröhlich (PR-Magazin 07/2017) eine Inhaltsanalyse der überregionalen Medienberichterstattung über den Fall durch.

 

Traueranzeige von Lufthansa / Germanwings

 

Die Autorinnen bezeichnen die Germanwings-Krise als „eine äußert komplexe Krise (.), da sie Anzeichen aller drei in der SCCT beschriebenen Krisentypen aufweist (vgl. Coombs 2007, S. 2)“: Im Beitrag zeichnen sie die Entwicklung vom Victim Cluster über das Accidental Cluster bis hin zum Intentional Cluster nach. Die Reaktion der Medien, die sie analysierten, legt nahe, dass in vielen Fällen der von Germanwings und Lufthansa gesetzte Frame auch als Berichterstattungsframe übernommen wurde. Im Abgleich zwischen strategischer Kommunikation auf der einen Seite und der Print-Berichterstattung auf der anderen Seite können Romy Fröhlich und Clarissa Schöller zeigen, wie stringent das kleine 1×1 der Krisenkommunikation eingesetzt wurde (Top-Management als Sprecher, Fokus auf der Kommunikation mit den Angehörigen, empathische Kommunikation und stringente, konsistente Botschaften).

 

Die Social-Media-Logos der Airlines gehen monochrom

 

Der Fall ist auch deshalb so interessant für die Wissenschaft, weil Lufthansa die klassische Pressearbeit zum Nebenakteur machte. Die Kommunikation lief – trotz eines zeitweisen Ausfalls der Germanwings-Website – vorrangig über Social Media. Twitter war das Leitmedium, dessen Kurzmeldungen dann in andere Online-Kanäle übernommen wurden.

 

Social Media als erste Nachrichtenquelle

 

Carsten Spohr, CEO der Lufthansa, wurde zum Gesicht und zur Konstante in der Krise. Während der intensiven Krisenphase gab es mehrere Video-Statements auf Social Media. Hinzu kamen Pressekonferenzen in Frankreich, Frankfurt und Düsseldorf. Die Daten, die Romy Fröhlich und Clarissa Schöller in ihrer Studie erhoben, zeigen deutlich, wie glaubwürdig Carsten Spohr in diesen Wochen von den Medien wahrgenommen wurde.

Die Krise traft die Lufthansa in ihrem Markenkern, bei der Flugsicherheit. Neben vielen Vorort-Aktionen (Kondolenzbücher, Schweigeminuten, Gottesdienste) gab es auch viele spontan entstehende Orte der Anteilnahme, z.B. an Germanwings-Counter in vielen Flughäfen, an öffentlichen Plätzen, bei Sport-Events oder aus der Politik. Über Posts in Social Media wurde der tiefe Schmerz und die breite Anteilnahme in der Bevölkerung deutlich. Lufthansa hat auf der Plattform http://www.indeepsorrow.de/ Menschen ein Forum gegeben, um ihre Trauer zu teilen. Die Plattform ist mehrsprachig (deutsch, französisch, englisch, katalanisch/spanisch) angelegt und ist bis heute öffentlich zugänglich.

 

Beispiel für Einträge auf indeepsorrow.de aus dem April 2015 nach drei Wochen

 

#indeepsorrow war zugleich auch der hashtag bzw. Suchbegriff für die Social Media-Kanäle. Dort lässt sich bis heute die Entwicklung, Kommentierung und Verarbeitung des Geschehens beobachten und als Ergänzung zu dem massenmedialen Diskurs beobachten.

 

 

Über die Autoren

Simone Huck-Sandhu ist Professorin für Public Relations an der Hochschule Pforzheim und Studiendekanin des Masterstudiengang Corporate Communication Management.

Swaran Sandhu ist Professor für Unternehmenskommunikation mit Schwerpunkt Public Relations und leitet die Vertiefung Public Relations im Studiengang Crossmedia-Redaktion/Public Relations an der Hochschule der Medien in Stuttgart.

 

Literatur

Fröhlich, R. & Schöller, C. (2017). Kurs halten in der Krise. PR Magazin 07/2017, S. 58-64.

Sandhu, S. & Huck-Sandhu, S. (2017). #indeepsorrow. Lufthansa’s agile crisis management during and after the crash of Germanwings flight 4U9526. In: Turk, J. V. & Valin, H. (Hg.). Public Relations Case Studies from Around the World, 2nd ed. New York: Peter Lang, 169-192.

Schädler, B. & Bartels, A. (2016). Da bleibt immer ein Stück Trauer. PR Report 3/2016, 16-20.