Bachelorarbeit von Paula Baltzer
(Wintersemester 2021/22)
Qualifikationsvorsprung als geborene Kommunikatorin?
Kommunikationsbegabung als Erfolgsfaktor von Frauen in der PR infrage zu stellen erscheint zunächst absurd. Wurde für das deutsche Berufsfeld doch bereits 2003 der Gender-Switch endgültig nachgewiesen und dort bis heute eine einzigartige (quantitative) Feminisierung dokumentiert. Wieso sollte also die Sorge bestehen, dass ausgerechnet in diesem Feld Karrierehürden für Frauen vorliegen? Entsprechen doch die PR-Exzellenzkriterien (u. a. Konfliktbewältigung, Dialog- und Konsensorientierung) dem femininen Kommunikationsstil und stellen damit scheinbar ‚naturgemäß‘ einen Qualifikationsvorsprung für Frauen dar. Ein differenzierter Blick offenbart diesen Trumpf allerdings als Mythos, da sich der Frauenanteil insgesamt nicht angemessen in den Führungspositionen widerspiegelt und PR-Frauen eher in den unteren Hierarchieebenen arbeiten. Wie lässt es sich also erklären, dass in einer ‚Frauendomäne‘ seit Jahrzehnten nicht überwiegend Frauen höhere Positionen besetzen? Fröhlich vermutet in ihrer These der Freundlichkeitsfalle, die theoretisch aus der Arbeits- und Organisationspsychologie hergeleitet ist, dass feminine (sozialisationsbedingte) Eigenschaften anfänglich in der PR von Vorteil sind. Allerdings wird eine empathische, dialogorientierte ‚weiche‘ Kommunikation gesamtgesellschaftlich nicht mit der klassisch ‚maskulinen‘ Führungskompetenz assoziiert: Der anfänglich gelobte Kommunikationsstil wird beim Aufstieg in ‚Konfliktscheue‘ oder ‚mangelndes Durchsetzungsvermögen‘ decodiert. Laut der These ein ‚Teufelskreis‘ für karriereambitionierte PR-Frauen, der bisher jedoch nicht empirisch verifiziert bzw. falsifiziert wurde.
Ziel der explorativen qualitativen Erhebung war es daher zu ermitteln, inwiefern geschlechtsspezifische (feminine) Eigenschaften die Karriere von Frauen erleichtern bzw. erschweren. Für diese Fragestellung wurden Tiefeninterviews mit acht Frauen in PR-Führungspositionen geführt. Ein weiteres Interesse bestand darin, die Teilnehmerinnen zu ihren persönlichen Karrierestrategien und Aufstiegsbedingungen zu befragen und eine erste Charakterisierung von weiblichen Führungspersönlichkeiten in der PR vorzunehmen.
Die ‚Freundlichkeitsfalle‘ auf dem Prüfstand
Aus Sicht der Befragten ist die ausgeprägte (feminine) Kommunikationskompetenz für die PR-Tätigkeit essentiell. Auch wenn die Führungsfrauen darin keinen grundsätzlichen weiblichen ‚Startvorteil‘ sehen, führt die Mehrheit ihren ‚weichen‘ Kommunikationsstil als „größte Stärke“ an. Dieser sei vor allem bei der Inklusions- und Persuasionsleistung der diversen Interessensgruppen vorteilhaft. Gleichzeitig offenbart ein empathischer und konsensorientierter Kommunikationsstil bei dem beruflichen Aufstieg einen „sehr feinen Grad“ zwischen Auf- und Abwertung. Dieser Verhaltenskonflikt zeigt sich in dem Ratschlag von Kollegen, nicht „so emotional“ zu sein, aber auch in der Selbstzuschreibung von ‚femininen Defiziten‘ wie „übermäßiges serviceorientiertes Dienstleistungsverhalten“ oder der Wunsch, „Everybody’s Darling“ zu sein. Eine Kompensationsstrategie ist daher eine „maskuline Selbstpräsentation“ mit einer „deutlich weniger ausgeschmückte[n]“ Kommunikation. Ein Verhalten, das allerdings zur Abwertung als „Zicke“ führen kann – ein weiterer Konflikt.
Diese Erfahrungen entsprechen dem Mechanismus der Freundlichkeitsfalle. Die Charakterisierung der Befragten und deren Karrierestrategien zeigen jedoch, dass sich feminine Kommunikationskompetenzen nicht zwangsläufig als Falle entpuppen und auch nicht vollständig abgelegt werden müssen. Ein erhöhtes Problembewusstsein für geschlechtsspezifische Stereotype hat bei den Führungsfrauen bewirkt, dass sie anfangs nicht ‚blind‘ auf ihr (vermeintliches) Kommunikationstalent vertraut haben. Stattdessen haben Charakterzüge wie Selbstbewusstsein und Hartnäckigkeit möglicherweise die Anpassung an ‚maskuline Arbeitsstrukturen‘ erleichtert und gleichzeitig das Vertrauen in ihre femininen Kompetenzen gestärkt. Der Karriereerfolg wird allerdings maßgeblich durch das Umfeld determiniert: Laut den Befragten ermöglicht eine „progressive Unternehmenskultur“ (auch in männerdominierten Berufssegmenten) eine Arbeitsweise jenseits stereotypischer Zuschreibungen. Daneben führen die Befragten die Unterstützung durch Mentor*innen an, die sie teilweise sogar für eine Führungsposition vorgeschlagen haben. Dieser persönliche Kontakt hat womöglich stereotypische Annahmen über feminine Stärken/Schwächen abgemildert und den Fokus auf professionelle Fertigkeiten gelenkt.
Falle als Mythos oder Realität?
Angesichts dieser Einschätzungen ist der Erfolgsfaktor der kommunikativen Begabung Mythos und Realität zugleich. Die Schilderungen der Befragten zeigen, dass Frauen noch immer eine enorme Kraftanstrengung benötigen, um sich aus dem ‚Rollenkorsett‘ zu lösen. Im Rahmen einer funktionalen, reflektierten Karrierestrategie können Frauen jedoch von ihrer Kommunikationsbegabung profitieren: Sie etablieren in ihrem Arbeitsumfeld einen empathischen und konsensorientierten Führungsstil und nutzen die eigene Machtposition, um Kolleg*innen zu unterstützen. Ein Nährboden, der laut den Befragten bereits jetzt Strukturveränderungen sichtbar macht und in Zukunft gestärkt werden sollte. PR-Feminisierungsforschung kann hier einen entscheidenden Beitrag leisten.