Transformative PR-Forschung – auf dem Weg zum Akteur in der Gesellschaft?

Ein Gastbeitrag von Thomas Pleil

Wo steht unser Fachgebiet? Wie sichtbar ist es, und welche Rolle(n) sollte es einnehmen? Diese Fragen sind mindestens so alt wie die DGPuK, die als Fachgesellschaft die Kommunikationswissenschaft vertritt. Die Diskussion zu diesen Themen ist in den vergangenen Monaten auf Ebene der DGPuK insgesamt intensiver geworden. Bezogen auf die PR-Forschung hatten die Kollegen Howard Nothhaft und Stefan Wehmeier (2013) einen wichtigen Faden ausgelegt, die Bedeutung der PR-Forschung diskutiert und alternative Forschungswege skizziert. Dieser Faden wird hier weitergesponnen. Es wird vorgeschlagen, dass sich die PR-Forschung intensiver mit transformativer Forschung (z.B. Schneidewind, 2015) beschäftigt.

Beginnen wir 1990. Ich studiere in Eichstätt und habe mich mittlerweile etwas erholt von den zurückliegenden Vorlesungen und Seminaren bei Otto B. Roegele, der in einem heruntergekommen ehemaligen Krankenhaus – in meiner Erinnerung war es die aufgelassene Kapelle eines heruntergekommenen Krankenhauses – viele alte Schmalspur-Filme gezeigt hatte: Teilweise damals noch unter Verschluss gehaltenes Propagandamaterial der Nazis. Die psychologischen Tricks der Kommunikatoren und die massenmediale Schlagkraft ihrer Agitation hatte der Vertretungsprofessor genau seziert.

Was für einen Kontrast bot dann der nächste Vertretungsprofessor: Roland Burkart. Er hatte gerade eben die in meiner Wahrnehmung spannendste Einführung in die Kommunikationswissenschaft veröffentlicht – und vor allem haben wir im PR-Seminar ausführlich das Modell der verständigungsorientierten Öffentlichkeitsarbeit kennengelernt und diskutiert. PR konnte plötzlich lösungsorientiert arbeiten, Gesellschaft und Organisationen zusammen denken und damit ein ganz anderes Gesicht zeigen als bei Roegele, bei dem sie die propagandistischen Wurzeln nie kappen konnte.

Die Tradition der Selbstverständnisdebatte

Was ich im Jahr 1990 als Student so noch gar nicht wahrgenommen hatte: Die DGPuK hat bereits in der ersten Ausgabe des „Aviso“ mit einer großen Selbstverständnisdebatte der Kommunikationswissenschaft begonnen (ich vermute eigentlich, dass für eine vorhandene Debatte ein Medium geschaffen wurde). Walter Hömberg – später dann ebenfalls in Eichstätt – hatte im Editorial in seiner süffisant-hintersinnigen Art kritisiert, die Fachgesellschaft existiere nur drei Tage im Jahr, nämlich während der Jahrestagung. Ansonsten: “Nichts Nennenswertes“ (Hömberg, 1990). Und Wolfgang Langenbucher blies in der selben Ausgabe ins gleiche Horn: Dass „die intellektuelle Debatte über Kommunikationsprobleme von Bestseller-Autoren wie Neil Postman bestimmt wird“ sei ein Zeichen intellektueller Dürftigkeit der Kommunikationswissenschaftler (Langenbucher, 1990). Und auch Siegfried Weischenberg kam zu keinem schmeichelhafteren Ergebnis: Er klebte den Kommunikationswissenschaftlern Etiketten wie Zeitnot, Dialogunfähigkeit, ideologische Konformität, ein hermetisches Professionsbild und noch mehr saure Drops an die Stirn. Und all dies in einem Fach, das schon damals deutlich gewachsen war: Immer mehr Professuren, immer mehr Studierende – und natürlich eine zunehmende interne Ausdifferenzierung, zu sehen beispielsweise an den Fachgruppen der DGPuK. (An dieser Stelle vielen Dank an Christian Strippel, der auf Twitter auf diese Diskussion im Aviso hingewiesen und aufschlussreiche Zitate aufgegriffen hat).

Bedeutung für die PR-Forschung

Zwanzig Jahre später, also 2010: Ich bin seit ein paar Jahren in einer ganz anderen Rolle und nun Mitglied der DGPuK, Profiteur des Wachstums des Feldes und in der Fachgruppe PR und Organisationskommunikation zuhause. Wir hatten uns in Leipzig getroffen, es war eine gute Fachgruppentagung. Auch, weil sie programmatisch konzipiert war, und sie das Verhältnis von Kommunikationsmanagement und Organisationskommunikation beleuchtet hatte. Wahrscheinlich geht es mir nicht allein so, dass ein Beitrag besonders in Erinnerung geblieben ist: Howard Nothhaft und Stefan Wehmeier rüttelten die KollegeInnen geradezu auf und forderten: “Make Public-Relations-Research matter“! Sie beschrieben alternative Wege der PR-Forschung (erweitert veröffentlicht unter Nothhaft & Wehmeier, 2013). Es war wohl der am meisten diskutierte Vortrag der Leipziger Tagung.

Worum genau ging es? Die beiden diagnostizierten: Die PR-Forschung sei kaum relevant (ebd., S. 312) – die Expertise ihrer Vertreter etwa in Politik oder Publizistik wenig nachgefragt und die PR-Forschung selbst: „so gut wie nicht wahrgenommen“! Stattdessen: Immer mehr disziplinäre Selbstzitationen. Sprich: Wir schmoren im eigenen Saft, bemühen uns nicht um Anschlüsse nach außen und werden entsprechend entweder ignoriert, oder es werde der Disziplin gar ein gesellschaftlich schädliches Potenzial zugeschrieben (ebd.). Die PR-Forschung leidet also an Morbus KW.

Doch wie konnte es dazu kommen? Die Erklärung von Nothhaft und Wehmeier setzt bei einer Zweiteilung der akademischen Auseinandersetzung mit PR an – sie unterscheiden (ebd., S. 313-317):
– Die PR-Forschung, sozialwissenschaftlich verstanden – mit der Idee, gesicherte und lehrbare Gesetzmäßigkeiten aufzudecken,
– die PR-Lehre, die sich schlicht das Ziel setzt, die Praxis zu rationalisieren und – denkt man dies weiter – die sich letztlich zum Dienstleister des Berufsfeldes macht. Da dieses von Unternehmen dominiert wird, muss sich die PR vorwerfen lassen, zum großen Teil an der Durchsetzung von Unternehmensinteressen mitzuwirken.

Ganz so kapitalismuskritisch formulieren die beiden dies nicht, aber sie kritisieren eine „Abkehr von gesellschaftlichen Fragestellungen und gleichzeitige Hinwendung zu Fragestellungen der organisationalen Effizienz- und Effektivitätssteigerung“ (ebd., S. 316). Damit verbunden – so der Vorwurf – sei die Akzeptanz durch die Praxis zum „Erfolgssurrogat“ (ebd.) geworden. Wollen wir also vor allem den Kommunikationschefs und deren Chefs gefallen?

Doch welche Lösung sehen die beiden? Statt sich nur auf das – in den Sozialwissenschaften ohnehin oft unmögliche – Entdecken expliziter Gesetzmäßigkeiten zu beschränken, skizzieren Nothhaft und Wehmeier einen weiteren Entwurf von Wissenschaft: „konkrete, fallbezogene, kontextsensitive und wertebewusste Forschung“ (ebd., S. 319), die mitmischt und auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnis Beratung leistet. Wie in benachbarten Disziplinen auch bedeutet dies, dass hierzu zum Beispiel qualitative Feldforschung stärker in den Blick gefasst werden muss. Dies kann nützlich sein, um Kommunikationssituationen zu beobachten, Interventionen und ihre Auswirkungen zu analysieren etc. (ebd., S. 323) – kurz: Die beiden fordern eine Wissenschaft, die sich in den Dienst der Gesellschaft stellt (ebd., S. 326).

Gesellschaftliche Fragen statt Organisationsinteressen

Das heißt: Nicht die Organisation, sondern die Gesellschaft sollte der Bezugspunkt solcher Forschung sein. Die Forschung allerdings müsste „rigoros” (ebd.) sein: Statt Scheinwissenschaftlichkeit in Form leerer, meist quantitativer Methodenetüden, die an der Realität vorbeigehen oder Etüden des fundamentlosen Theoretisierens (ebd., S. 327) sollten PR-ForscherInnnen platt gesagt viel öfter vom Schreibtisch aufstehen und sich im Feld tummeln.

In meiner Lesart beschreiben die beiden eine Vision der PR-Forschung, die sehr nahe am Konzept der transformativen Wissenschaft ist. Diese ist „eine Wissenschaft, die gesellschaftliche Transformationsprozesse nicht nur beobachtet und von außen beschreibt, sondern diese Veränderungsprozesse mit anstößt und katalysiert und damit als Akteur über „diese Veränderungen lernt“ (Schneidewind. 2015, S. 88). Und weil die Probleme im echten Leben komplex sind, führt dies automatisch zu einer transdisziplinären Wissenschaft. Ein Konzept, das von manchen WissenschaftlerInnen erst einmal kritisch gesehen wird, so von DFG-Präsident Peter Strohschneider (ebd.), der fürchtet, ein solcher Ansatz sei darauf aus, Wissen nach Nützlichkeit zu bewerten. Anders der Wissenschaftsrat (2015): Er fordert eine Auseinandersetzung der Wissenschaften mit gesellschaftlichen Herausforderungen und spricht deshalb neben der Grundlagenforschung und Innovationsförderung von einer dritten Mission. Damit ist klar, dass transformative Wissenschaft nicht Bestehendes ersetzen, sondern ergänzen soll. Die Jagd nach der Wahrheit oder den Grundlagen des Seins muss also nicht abgeblasen werden.

Uwe Krüger und Michael Meyen (2018) haben im Rahmen der aktuellen Selbstverständnisdebatte innerhalb der Kommunikationswissenschaft (KW) die Überlegungen aufgenommen. Sie gehen davon aus, dass die gesellschaftlichen Herausforderungen weit über in der KW diskutierte Aspekte wie Mediatisierung, Datafizierung oder Digitalisierung hinausgehen (ebd., S. 343) und verweisen auf den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Dieser sprach von der „Großen Transformation“, in der Wohlstand, Demokratie und Sicherheit mit Blick auf die Grenzen des Erdsystems gestaltet werden müssen.

Die KW dagegen, so legen Krüger und Meyen nahe, wird immer kleinteiliger und kooperiert nur wenig mit anderen Disziplinen und gesellschaftlichen Akteuren: „Die Herausforderung ist nicht der Medienwandel […], sondern ein eingeschränkter Horizont, der den Blick auf Fragen verstellt, die für die Gesellschaft insgesamt relevant sind“ (Krüger & Meyen 2018, S. 343). Ein weiterer Vorwurf: Die KW setze sich viel zu sehr das Ziel, Medienangebote, PR oder redaktionelle Abläufe zu optimieren – und damit bestehende Ordnung zu legitimieren (ebd., S. 346).

Gelingen gesellschaftlicher Kommunikation

Ihr Gegenbild: Krüger und Meyen wünschen sich eine KW, die weder Erfüllungsgehilfe der Macht ist noch eine Wissenschaft mit Anspruch auf universelle Wahrheit. Sie schlagen stattdessen eine normative Perspektive vor, und damit eine Wissenschaft, die zum Gelingen gesellschaftlicher Kommunikation einen Beitrag leistet (ebd., S. 347). Diese Forderung besteht vor allem vor zwei Hintergründen: Der Zerstörung natürlicher Lebensgrundlagen und der Bedrohung der Demokratie.

Verfolgt man die Gedanken einer transdisziplinären und gar transformativen Forschung weiter und bezieht diese auf das engere Feld der strategischen Kommunikation, so scheint dies ein weiter Weg zu sein – mit vielen gedanklichen und praktischen Hürden. Nothaft (2016) beispielsweise betont die Notwendigkeit zum Aufräumen innerhalb des Forschungsfeldes, um eine Synthese des Wissens zu erhalten, nicht erfolgversprechende Ansätze zu benennen und einfache Fragen (Beispiel: Wie und warum funktioniert strategische Kommunikation?) beantworten zu können. Wer darauf Antworten geben kann, ist sicher anschlussfähiger für KollegInnen aus anderen Disziplinen.

Ob diese dann über Anschlussbemühungen aus unseren Reihen glücklich sind? Schon immer – so erinnern Seiffert-Brockmann und Thummes (2016) – wird PR als voreingenommen, unethisch und irreführend wahrgenommen. Ist Selbstbetrug, den die beiden Autoren diskutieren, eine sinnvolle Weise für PR-PraktikerInnen, damit umzugehen? Am Beispiel des VW-Skandals zeigen sie auf, wie sehr PR-Leute in die Täuschungen durch das Management einbezogen sind und wie unwahr die von vielen Stakeholdern zunächst geglaubten Behauptungen „grüner Technologie“ letztlich war.

Ich erinnere mich an die Seminare bei Otto B. Roegele und die Frage: Was, wenn man nur meint, auf der richtigen Seite zu sein? Andererseits: Man kann seine Energie immer in die falsche Richtung lenken. Genügt dies als Ausrede, um alles beim Alten zu belassen? Ich meine: nein. Ich denke: Wir müssen klassische PR-Forschung und Lehre nicht in Frage stellen – ich würde mir aber sehr wünschen, PR auch im Rahmen transformativer Wissenschaft zu diskutieren und dort praktische Erfahrungen zu machen. Meine ersten Schritte in diese Richtung – etwa in einem transdisziplinären Projekt, um regional nachhaltige Lösungen zu schaffen oder Diskurse innerhalb der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler – zeigen: Kommunikationskompetenz wird an vielen Stellen nicht nur benötigt, sondern von KollegInnen anderer Disziplinen nicht nur geschätzt, sondern geradezu ersehnt. Was wir in solchen Zusammenhängen und wie sinnvoll leisten können und was nicht, ist eine Diskussion, die ich sehr gern führen würde, um zu klären: Was kann eine transformative PR-Forschung ausmachen?

 

Über den Autor

Thomas Pleil ist Professor für Public Relations an der Hochschule Darmstadt. Er leitet den Studiengang Onlinekommunikation (B.Sc.), den er aufgebaut hat, und er ist Sprecher des Forschungszentrums für Digitale Kommunikation und Medien-Innovation.

 

Literatur

Hömberg, W. (1990). Editorial. Aviso 1, S. 1. Online: https://www.dgpuk.de/sites/default/files/Aviso_01_11-1990.pdf (26.10.18).

Krüger, U., & Meyen, M. (2018). Auf dem Weg in die Postwachstumsgesellschaft. Plädoyer für eine transformative Kommunikationswissenschaft. Ein Beitrag zur Selbstverständnisdebatte im „Forum“. Publizistik 63, 341 – 357.

Langenbucher, W. R. (1990). Das Fach in der Krise? Aviso  1, 1-3. Online: https://www.dgpuk.de/sites/default/files/Aviso_01_11-1990.pdf (26.10.18).

Nothhaft, H. (2016). A framework for strategic communication research: A call for synthesis and consilience. International Journal of Strategic Communication 10(2), 69-86.

Nothhaft H. & Wehmeier S. (2013). Make Public-Relations-Research matter – Alternative Wege der PR-Forschung. In A. Zerfaß, L. Rademacher & S. Wehmeier (Hrsg.), Organisationskommunikation und Public Relations (S 311-330). Wiesbaden: Springer VS.

Schneidewind, U. (2015). Transformative Wissenschaft – Motor für gute Wissenschaft und lebendige Demokratie. Reaktion auf A. Grunwald. 2015. Transformative Wissenschaft – eine neue Ordnung im Wissenschaftsbetrieb? GAIA 24(1), 17 – 20.

Seiffert-Brockmann, J., & Thummes, K. (2017). Self-deception in public relations. A psychological and sociological approach to the challenge of conflicting expectations. Public Relations Review, 43(1), 133-144 http://dx.doi.org/10.1016/j.pubrev.2016.12.006

Weischenberg, S. (1990). Zum Psychogramm des KWs. Aviso 1, 3-5. Online: https://www.dgpuk.de/sites/default/files/Aviso_01_11-1990.pdf (26.10.18)