Masterarbeit von Franziska Lilli Kiefl
(Sommersemester 2021)
Die Arbeit untersucht ethische Problemlagen, mit denen sich PR-PraktikerInnen im sogenannten Post-Truth-Zeitalter konfrontiert sehen. Die Untersuchung erforscht die speziellen ethischen Besonderheiten und Herausforderungen von PR im Rahmen von Post-Truth-Tendenzen in Gesellschaft und in der digitalisierten Massenkommunikation. Im Zentrum steht die Frage, welche ethischen Konflikte sich für PR-Praktiker*innen vor dem Hintergrund moderner Post-Truth-Tendenzen ergeben (WAS?), wie diese Konflikte entstehen (WARUM?) und wie PR-ExpertInnen aktuell mit solchen Konflikten umgehen (WIE?). Auf Basis von explorativen Interviews mit PR-Fachleuten mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen wird damit ein in der Forschung bisher nicht bearbeitetes Feld wissenschaftlich und anwendungsorientiert erschlossen. Die Arbeit bietet in ihrem theoretischen Teil eine grundlegende definitorische Auseinandersetzung mit dem Begriff „Post-Truth“ sowohl aus einer gesellschaftlichen Perspektive wie auch aus angewandter PR-Perspektive. Im Rahmen der PR-Perspektive wird u. a. auch der durchaus problematische Begriff der ‚Wahrheit‘ in der PR problematisiert. Im Mittelpunkt der theoretischen Fundierung stehen spezifische Entwicklungen, von denen man annimmt, dass sie Post-Truth-Tendenzen triggern wie z.B. die kommerzielle Demokratie sowie sinkendes Demokratievertrauen, Umbrüche in der Wissensordnung, die Digitalisierung der privaten und öffentlichen Kommunikation und damit einhergehend der steigende aufmerksamkeitsökonomische Druck auf PR oder die Popularisierung und Verbreitung von Social Media sowie im Zuge dessen die Veränderungen der (handwerklich) angewandten PR-Arbeit und die Möglichkeit der Umgehung faktenprüfender Gatekeeper-Institutionen. Dabei werden allgemeine Fragen der (angewandten) PR-Ethik (PR-spezifische Fragen der Kommunikations-Ethik) in den Kontext des speziellen Post-Truth-Erkenntnisinteresses gesetzt.
Die Befunde lassen sich wie folgt skizzieren: Die überwiegende Mehrheit der befragten PR-Fachleute bestätigt, dass vor dem Hintergrund aktueller Post-Truth-Tendenzen ethische Konflikte bei der PR-Kommunikation zunehmen –– vor allem dort, wo Wahrhaftigkeitsszenarien eine Bedeutung haben und sich auch konkrete Veränderungen der PR-Arbeit durch die veränderten Post-Truth-Rahmenbedingungen zeigen. Die Ursachen hierfür sieht die Mehrzahl der Befragten in einem (vor allem durch die Digitalisierung und social media) gestiegenen aufmerksamkeitsökonomischen Druck (Geschwindigkeit, Reichweite, selektive Nutzung der Stakeholder). Vor diesem Hintergrund nehmen die Befragten die Einhaltung eines hohen verantwortungsethischen Maßstabs zur Vermeidung von Unwahrheiten, von Wahrhaftigkeitsdefiziten, des Einsatzes übertriebener Inhalte oder von irreführenden digitalen Instrumenten als besondere Herausforderung wahr für angewandte PR von heute. Nicht wenige der Befragten berichten über zunehmende Intra-Rollen-Konflikte (eigene moralische Werte vs. Auftraggeber-Erwartung über beschönigende Unternehmensbotschaften). Interessant ist aber, dass nur wenige Befragte Probleme (auch) mit Blick auf die Zielgruppe ‚Journalismus‘ thematisieren. Überwiegend ist man der Meinung, dass hier eher keine ethischen Konflikte entstehen, wenn man z.B. überspitzte oder wahrhaftigkeitsflexible Botschaften an diese Anspruchsgruppe kommuniziert. Begründung: Hierbei handele es sich um eine professionelle Berufsgruppe, deren zentrale Aufgabe ohnehin Faktenprüfung sei. Gleichzeitig schreiben einzelne Befragte Journalist*innen selbst eine Förderung moderner Post-Truth-Tendenzen zu, weil auch sie redaktionelle Inhalte zunehmend nach verschärften aufmerksamkeitsökonomischen Bedingungen produzieren müssen und es so auch zunehmend zur wahrheitsproblematischen Zuspitzung (z.B. Skandalisierung) von PR-Botschaften bei der journalistischen Übernahme in Mediencontent komme. Die existierenden PR-Ethik-Kodizes halten nur wenigen der Befragten für ein geeignetes Mittel zur Bewältigung ethischer Wahrheitskonflikte in der PR. Organisationsinterne ‚codes of conduct‘ werden hier klar bevorzugt, aber zugleich auch sehr vermisst.
Zwar glauben viele der PR-Befragten, heute einen größeren Einfluss auf bestimmte gesellschaftliche Teilöffentlichkeiten zu haben als früher. Was die Bereitschaft angeht, im Zuge dessen auch mehr Verantwortung zu übernehmen für die Entstehung von Wahrheit und Wahrhaftigkeit im gesellschaftlichen Diskurs und den Einsatz anspruchsvoller Evidenzsicherungsverfahren, werden aber Diskrepanzen deutlich. Denn überwiegend wird diese Verantwortung (immer noch) beim (faktenprüfenden) Journalismus gesehen – und das obwohl die Befragten zugeben, dass in ihrer PR-Arbeit die PR-Kommunikation über eigene (Verbreitungs-)Kanäle enorm zugenommen habe (owned media und by-passing des Journalismus). Bei der PR-Kommunikation über owned media etc. (also jenseits der journalistischen Instanz) scheint sich hier aufseiten der PR also eine Art Verantwortungsvakuum zu ergeben. Vor diesem Hintergrund plädiert die Verfasserin der Studie auf Basis eigener konkreter Vorschläge für eine neue Verantwortungsdiskussion in der PR und eine längst überfällige Weiterentwicklung der PR-Ethik im digitalen Post-Truth-Zeitalter. Die Arbeit endet mit theoretisch und empirisch aus den Befunden abgeleiteten Handlungsempfehlungen für die praktische PR-Arbeit.