Nachhaltigkeitskommunikation 2.0: Eine Untersuchung der Kommunikationsstrategien von Umweltbewegungen und der Nachhaltigkeitskommunkation von Unternehmen auf Social Media

Masterarbeit von Carolin Ruppert

(Winter Semester 2021)

Im Mittelpunkt dieser wissenschaftlichen Untersuchung steht das Spannungsfeld unterschiedlicher Interessenslagen von Unternehmen und Umweltbewegungen bei Nachhaltigkeitskommunikation, die über Social Media verbreitet wird. Konkret geht es um die Frage, ob und wenn ja wie sich die Online-Kommunikation von Umweltbewegungen auf die Online-Nachhaltigkeitskommunikation von Unternehmen auswirkt. Denn wenn es stimmt, dass Umweltbewegungen als Agenda-Setter fungieren und Themen für den (öffentlichen) Diskurs setzen können, dann müsste sich das ja u.a. auch in den Themen der Social Media-Posts von (betroffenen) Unternehmen zeigen.


Die Frage bearbeitet die Untersuchung im Rahmen einer qualitativen Inhaltsanalyse. Im theoretischen Teil werden zunächst zentrale Begrifflichkeiten (u.a. ‚sozialen Bewegungen‘, ‚Aktivismus‘ allgemein, ‚Web 2.0-Aktivismus‘ im Speziellen‘, ‚Greenwashing‘) geklärt. Auch das in letzter Zeit von der Forschung verstärkt bearbeitete Verhältnis zwischen Aktivist:innen und Unternehmen wird im Rückgriff auf aktuelle Forschung und Literatur konturiert, Strategien der (Nachhaltigkeits-)Kommunikation von Unternehmen zugeschnitten auf Reaktion zu Web-2.0-Kommunikationsstrategien des Aktivismus im Bereich Nachhaltigkeit werden zusammenfassend beschrieben. Dabei stellt sich die Arbeit auch kritisch der Frage, ob es sich bei Online-Aktivismus um eine neue Form von Aktivismus handelt oder nur um neue Formen der (technischen) Dissemination von Botschaften. Dabei werden auch Strategien des Offline-Aktivismus und Taktiken von Unternehmen hierauf betrachtet, um die Übertragbarkeit von Modellen und Annahmen aus Offline-Szenarien auf Online-Bedingungen zu prüfen.


Die Inhaltsanalyse einer zwischen Unternehmen und Aktivist:innen widerstreitenden Nachhaltigkeitskommunikation erfolgt anhand zweier spezifischer Ereignisse: Die Online-Kommunikation rund um das Kohlekraftwerk Datteln IV im Mai 2020 sowie die Greenpeace-Aktion „VWTF?!“ gegen VW im Mai 2021. Die Befundlage, die diese Untersuchung zutage fördert, ist komplex und wird in der Arbeit deshalb immer wieder durch konkrete Beispiele aus der betreffenden Online-Kommunikation beider Seiten veranschaulicht. So zeigt sich z.B. bei der Frage nach der Gültigkeit von Offline-Strategien und -Taktiken im Rahmen der neuen Szenarien der Online- und Social Media-Welt, dass z.B. Unternehmen die (aus der Offline-Kommunikation altbekannten) Strategien ‚Defiance‘ und ‚Compromise‘ in ihrer Online-Kommunikation nicht mehr wie früher prioritär und dominierend anwenden. Hier wird vermutet, dass die enorm beschleunigte Kommunikation im Web 2.0 –– z.B. unmittelbare Reaktionen (insbesondere via Twitter) auf unmittelbare Angriffe und Forderungen von Aktivist:innen –– für Unternehmen eine enorme weil sehr ressourcenintensive Herausforderung darstellt (z.B. kontinuierliche Präsenz und Gleichzeitigkeit auf diversen Kanälen, Einheitlichkeit der Kommunikation usw.), die sie sich möglicherweise nicht mehr ohne weiteres erlauben (können/wollen). Genau das aber erfordern die beiden Strategien Strategien ‚Defiance‘ und ‚Compromise‘. Stattdessen dominiert in der untersuchten Online-Nachhaltigkeitskommunikation der Unternehmen die (ebenfalls aus der Offline-Kommunikation bekannte) ‚Avoidance‘-Strategie, also das absichtliches Vermeiden von Konflikten. Diese Strategie aber ist riskant, denn sie bietet Potenzial für den Vorwurf des Greenwashings.


Insgesamt liefert die Studie viele Indizien dafür, dass die untersuchten Unternehmen aus den beiden spezifischen Cases das volle Potenzial der digitalen sozialen Medien für ihre Nachhaltigkeitskommunikation nicht ausschöpfen. Ganz überwiegend nutzen sie sie ‚nur‘ zur Verbreitung von Informationen; zu einer kommunikativen Interaktion mit den Stakeholdern kommt es jedoch kaum. In einigen wenigen Fällen wird zwar auf einzelne Posts von Aktivist:innen Bezug genommen (‚Reactive‘-Strategie). Eine proaktive Kommunikation im Sinne der sogenannten ‚Engagement‘-Strategie findet aber in beiden Ereignis-Cases nicht statt. Ganz anders dagegen die Social Media-Kommunikation der Umwelt-Aktivist:innen: Sie zeichnet sich durch eine deutlich höhere (kommunikativen) Interaktion mit den Followern aus, was auch der Tatsache geschuldet sein dürfte, dass digitale soziale Medien für die Aktivist:innen DAS zentrale Kommunikationsmittel überhaupt darstellen. Außerdem können Unternehmen in ihrer Kommunikation nicht so frei und zeitnah agieren wie Aktivist:innen. In Unternehmen sind Kommunikationskonzepte, denen meist lange Entscheidungsprozesse vorausgegangen sind (insbesondere in der Nachhaltigkeitskommunikation), in der Regel festgelegt und damit vergleichsweise wenig flexibel. Hieraus ergibt sich für Unternehmen gerade in der Social Media-Kommunikation ein nicht zu unterschätzender struktureller Nachteil.


Interessant ist auch, dass die Posts, in denen sich die untersuchten Unternehmen zu den (kommunikativen) Aktivitäten der Aktivist:innen äußern, in keinem einzigen Fall von der Institution ‚Unternehmenskommunikation‘ verfasst sind. Es handelt sich stattdessen entweder um Retweets von Journalisten, die den betreffenden CEO zitieren, oder um Posts der CEOs selbst. Die Positionierung von CEOs zu gesellschaftspolitischen Themen über Social Media-Kanäle, das zeigt die neuere Forschung, hat in letzter Zeit ohnehin enorm zugenommen (vgl. Fröhlich & Knobloch (2021) in Public Relations Review, 47(5)).