Der Siegeszug der Bullshitter – Traurig, aber erwartbar

Ein Gastbeitrag von Olaf Hoffjann

Ein Bullshitter ist jemand, der etwas behauptet und dem der Wahrheitsgehalt seiner Behauptung gleichgültig ist, so der amerikanische Philosoph Harry Frankfurt (2006). Ein Lügner hingegen sagt etwas wider besseren Wissens. Wir wissen nicht, ob Donald Trump ein Lügner ist, schließlich könnte er von der Wahrheit seiner Aussagen selbst überzeugt sein. Dies unterstellt selbst Glenn Kessler, Faktenchecker der „Washington Post“ (Denkler 2018). Wem aber Tag für Tag sechs Unwahrheiten und Irreführungen nachgewiesen werden, der scheint ein ziemlich entspanntes Verhältnis zur Wahrheit zu haben. Donald Trump kann man also mit guten Gründen als ‚Gewohnheits-Bullshitter’ bezeichnen – und mit ihm diverse Brexiteers und wohl auch einige Politiker der AfD. Sicher: Lügen und Bullshitting hat es auch in den zivilisiertesten Demokratien immer schon gegeben. Gleichwohl drängt sich der Eindruck auf, dass Wahrhaftigkeit und Wahrheit als politische Kategorien unwichtiger werden. Wie konnte es so weit kommen? Wie konnten in den beiden Mutterländern der modernen Demokratie mit Unwahrheiten Wahlen gewonnen werden? Schaut man sich die Entwicklung politischer Selbstinszenierungen genauer an, wird deutlich, dass der Siegeszug des Bullshittings keineswegs überraschend kommt.

Die Inszenierung von Politik hat in Deutschland seit den NS-Propagandafilmen und den Nürnberger Parteitagsaufmärschen ein Imageproblem. Ihr haftet das Stigma des Scheins, des ‚Lug und Trug’ an. Dabei ist eine Demokratie auf Inszenierungen angewiesen, da Meinungsbildung die öffentliche Artikulation von Meinungen und Interessen voraussetzt. Solche Auftritte gibt es nur als Inszenierung. Das gilt für eine Politikerin, die ans Rednerpult eines Parteitages tritt, und selbst für einen Lehrer, der vor seinen Schülern steht. Ralf Dahrendorf (1998) nannte die Welt daher eine soziale Bühne.

Politische Inszenierungen gab es damit bereits in der Antike. Das Aufkommen der Massenmedien ist daher nicht ihre Geburtsstunde, gleichwohl hat vor allem das Fernsehen vieles verändert und beschleunigt. Denn das Fernsehen ist selbst ein Meister der Inszenierung, wenn es bei Parteitagen die Dauer des Applauses misst – was wiederum die Selbstinszenierung der Politik beeinflusst. Noch wichtiger: Als Gatekeeper bestimmen die Medien, welche politischen Inszenierungen zu sehen sind. Für Parteien und Regierungen führt dies zu einem enormen Konkurrenzdruck: Das Rennen um die aufmerksamkeitsstärksten Bilder und die lautesten Provokationen war eröffnet.

Die Folgen sind jeden Abend in den Abendnachrichten zu beobachten. Personalisierungsstrategien machen Politiker zu Helden, Schurken oder Versagern. Ohne ein gewisses schauspielerisches Talent dürfte heute eine politische Karriere kaum mehr möglich sein. Bei Pseudo-Events ersetzt die spektakuläre Inszenierung mitunter fehlende Inhalte und Relevanz. Die Unterhaltungsorientierung bzw. das Politainment, wie es Andreas Dörner (2001) nennt, macht Politik ‚gefälliger‘. Die Emotionalisierung schließlich schafft weitere Aufmerksamkeit und macht sofort klar, warum ein politisches Ziel richtig und wichtig ist. Im Idealfall kommt alles zusammen: eine personalisierte und emotionale Geschichte, die ein politisches Ziel weniger an Hand von Fakten, sondern an einem persönlichen Schicksal aufzeigt. All diese Stilelemente sind aus fiktionalen Formaten wie Romanen und Spielfilmen hinlänglich bekannt. Die fiktiven Geschichten über die Hinterbühne in Polit-Serien wie Borgen oder House of Cards können damit nahtlos anschließen an das Geschehen auf der Vorderbühne, das in den Fernsehnachrichten zu sehen ist. Die ästhetischen Grenzen zwischen fiktionalisierten politischen Inszenierungen und fiktionalen Serien mit ihren fiktiven Inhalten verschwimmen zusehends. Dies führt nicht gleich zur Verwechslung zwischen ‚echten’ Nachrichten und ‚fiktiver’ Serie, dürfte aber vielen den Inszenierungscharakter ‚echter’ Politik bewusstmachen und zu Misstrauen führen.

An der Aufklärung beteiligen sich auch Medien und selbst die Parteien. Journalisten sprechen es an, wenn sie über mitunter übergriffige Steuerungsversuche politischer PR und damit ihre Arbeitsbedingungen berichten. Die SPD machte die aufwändige Inszenierung ihres Leipziger ‚Krönungsparteitages’ 1998 selbst zum Thema, um ihre Modernität zu belegen. Vier Jahre später erinnerte beim „Projekt 18“ der FDP nur noch so wenig an einen konventionellen Bundestagswahlkampf, dass der Inszenierungscharakter für jeden offenkundig wurde.

Die Folgen dieser Einblicke auf die Hinterbühne dürften viele schon einmal bei sich selbst beobachtet haben: Wem der hollywoodgleiche Aufwand vieler Inszenierungen und das schauspielerische Können der Akteure bewusst ist, endet beim großen Zweifel. Man traut sich kein Urteil mehr zu. Die Inszenierung könnte angemessen und damit wahrhaftig sein. Sie könnte aber auch gelogen sein. Ein solches Ohnmachtsgefühl kann die vermeintlich ‚Aufgeklärten’, die ihren Sinnen nicht mehr trauen, ebenso ereilen wie diejenigen, die Politikern schon lange grundsätzlich misstrauen. Wenn rationale Kategorien unwichtig geworden sind, ist die Stunde der völligen Emotionalisierung gekommen. Wenn man jeden Kandidaten für einen gewieften Schauspieler hält – wie im Wahlkampf von Donald Trump und Hillary Clinton –, hat bei unentschiedenen Wählern derjenige die besseren Chancen, der die bessere Show liefert.

Donald Trump geht hier konsequent noch einen Schritt weiter: Nach den Inszenierungen hat er auch Fakten zur Beliebigkeit verholfen. Was bei Inszenierungen die große Bühne und die spektakuläre Show sind, ist bei seinen Fakten das Bullshitting. Es geht um die Wirkung im Publikum, das lautstarke provokante Behaupten – unabhängig vom Wahrheitsgehalt. Bullshitting passt damit zu einem Publikum, das sich ohnmächtig fühlt. So zeigen Umfragen, dass selbst Trump-Anhänger ihm Lügen unterstellen, das aber nichts an ihrer Unterstützung ändert.

Die Klagen der Gegner sind verständlich, wirken aber verzweifelt und mitunter auch wenig glaubwürdig. So dürften sich Beispiele für Bullshitting und Provokation am politischen Aschermittwoch nicht nur im Zelt der AfD finden lassen. Aber was sind die Alternativen? Setzt man sich lautstark und vehement zur Wehr, begibt man sich schnell auf das Niveau des Bullshitters. Reagiert man sachlich oder ignoriert ihn gar, läuft man Gefahr, in der heutigen Mediengesellschaft gar nicht oder als schwach wahrgenommen zu werden. Wer Bullshittern – zumal in einer ohnehin polarisierten Gesellschaft – gegenübersteht, steckt damit in einem Dilemma. Wem aber Wahrhaftigkeit in einer Demokratie wichtig ist, kann es nicht unversucht lassen.

 

Über den Autor

Prof. Dr. Olaf Hoffjann (47) lehrt strategische Kommunikation am Institut für Öffentliche Kommunikation an der Ostfalia Hochschule in Salzgitter. Zwischen 2006 und 2011 hatte er an der Mediadesign Hochschule in Berlin eine Professur für Kommunikationsmanagement. Von 2010 bis 2014 war er Sprecher der Fachgruppe PR/Organisationskommunikation der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft. Von 2000 bis zu seinem Wechsel an die Hochschule 2006 war er bei fischerAppelt Kommunikation tätig – zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und Leiter Public Campaiging. Seine Forschungsschwerpunkte sind politische Kommunikation, Beratungskommunikation, Public Relations, Public Affairs.

 

Literatur
Dahrendorf, R. (1998). Vorwort. In E. Goffmann, Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag. München: Piper.
Denkler, T. (2018). “Es ist deprimierend”. Interview mit Glenn Kessler. Sueddeutsche.de vom 02.07.2018. https://www.sueddeutsche.de/medien/interview-am-morgen-trumps-luegen-es-ist-deprimierend-1.4035989. (abgerufen am 10.08.2018)
Dörner, A. (2001). Politainment. Politik in der medialen Erlebnisgesellschaft. Frankfurt am Main.
Frankfurt H.G. (2006). Bullshit. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

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