„Evidenzbasierte Public Relations im postfaktualen Zeitalter“

Masterarbeit von Sofia Elena Rizzi

(Sommersemester 2020)

Fakten haben es im öffentlichen Diskurs seit geraumer Zeit schwer. Die Wahrhaftigkeitszuschreibung ehemals anerkannter epistemischer Autoritäten wie z.B. Journalismus oder Wissenschaft ist in der modernen Gesellschaft des postfaktualen Zeitalters längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Laut Edelman Trust Barometer (2020) fürchten global 76 Prozent der Befragten, dass sie in ihrem Informationsverhalten mit Inhalten konfrontiert werden, die gezielt und strategisch zur Desinformation eingesetzt werden. Dieser Befund wirft ein Schlaglicht auf die zunehmende gesellschaftliche Verunsicherung darüber, welche Informationen als glaubwürdig bewertet werden können. Für PR ist das hoch relevant. Ihr wird schon immer vorgeworfen, dass die Produktion ‘faktenfreier’ Realitäten quasi ihr ureigenes Geschäft sei. In verschiedenen Fachdiskursen ist bereits die Rede von der “post-truth-PR“ (vgl. Thompson, 2020).

Andererseits: PR ist darauf angewiesen, dass ihre Botschaften als reliabel, glaubwürdig, plausibel, wahrhaftig, valide etc. wahrgenommen werden, wenn sie Wirkung haben soll. Postfaktualität als gesellschaftliche Rahmenbedingung für die öffentliche Kommunikation erschwert aber die Realisierung von ‚Glaubwürdigkeit‘ auf eine neue, bisher nicht dagewesene Weise. Ein wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist die Digitalisierung von Kommunikation (Wissensdistribution und Partizipation online), von der angenommen wird, dass sie die zentrale Ursache für die aktuelle Wahrhaftigkeitskrise liberaler Demokratien ist (vgl. z.B. Neuberger et al., 2019). Aus dieser Wahrhaftigkeitskrise ergeben sich für die strategisch-persuasive Kommunikation (von Unternehmen, Organisationen, Institutionen etc.) bei der Generierung von Glaubwürdigkeit besondere Herausforderungen.

Ein möglicher Lösungsansatz hierfür könnte in der verstärkten Nutzung von Evidenzen liegen. Der Begriff wird in dieser Arbeit im Sinne des englischen ‚evicence‘ und damit ausdrücklich im Sinne einer allgemein anerkannten Nachweisführung z.B. durch empirische Daten oder andere wissenschaftlich akzeptierte Beweise verstanden. Somit stellt ‚Evidenz’ ein Schlüsselkonstrukt dar, mit dessen Hilfe sich gerade im postfaktualen oder post-truth Zeitalter Fakten (facts) und Halbwahrheiten (factoids) auseinanderhalten lassen und macht Evidenz zu einer zentralen Variable für die Realitätskonstruktion durch strategisch-persuasive Kommunikation. Aus diesem theoretischen Hintergrund leitet sich folgendes Erkenntnisinteresse ab: Welche Evidenzstrategien (Strategien zur Nutzung und zum Einsatz von belegbaren Fakten) erweisen sich unter den Bedingungen der Postfaktualität öffentlicher Diskurse bei strategisch-persuasiver Kommunikation als glaubwürdigkeitsstabilisierend?

Die Wirkung von Evidenzen auf die Glaubwürdigkeitswahrnehmung von Botschaften gilt als empirisch gut gesichert, allerdings nur im Rahmen von Untersuchungen zu Gesundheitskommunikation und zur Wirkung journalistischer Berichterstattung. Für die strategisch-persuasiven Kommunikation von Unternehmen liegen bisher nur sehr wenige Studien vor; diese wurden auch nicht im Kontext von Postfaktualität untersucht. Im Rahmen einer experimentellen Onlinebefragung soll deshalb geklärt werden, welchen Effekt der Einsatz von Evidenzen im postfaktualen Zeitalter auf die wahrgenommene Glaubwürdigkeit strategisch-persuasiver Kommunikation hat.

Insgesamt konnte die Analyse der Daten belegen, dass er Einsatz von Evidenzen in strategisch-persuasiven Texten – unabhängig vom Evidenztyp – keinen glaubwürdigkeitssteigernden Effekt auf die Wahrnehmung von Rezipienten hat. Die nicht nachweisbaren Effekte des Einsatzes von Evidenzen in strategisch-persuasiven Texten können durch zwei Ansätze erklärt werden, die mitunter zusammenspielen. Vor dem Hintergrund der Postfaktualität implizieren die Ergebnisse, dass dem Einsatz von belegbaren Fakten in strategisch-persuasiven Texten vor dem Hintergrund des postfaktualen Zeitalters eine untergeordnete Rolle in der Glaubwürdigkeitsausbildung bei den Rezipienten zukommt. Andererseits könnte der nicht belegbare Effekt durch den Einsatz von Evidenzen auch darin begründet sein, dass bereits bestehende Voreinstellungen oder relevante Drittvariablen die Wirkung von Evidenzen abschwächen. Die Untersuchung belegt, dass insbesondere Faktoren wie die Glaubwürdigkeit epistemischer Eliten, die Übereinstimmung der persönlichen Meinung mit getroffenen Aussagen, das Interesse an den behandelten Themen sowie die Voreinstellung gegenüber dem kommunizierenden Unternehmen einen signifikanten Einfluss auf die Glaubwürdigkeitswahrnehmung von strategisch-persuasiver Kommunikation im postfaktualen Zeitalter haben.

Dem Einsatz von Evidenzen kann jedoch nicht pauschal die persuasive Wirkung in der PR abgesprochen werden, da alle Stimuli als glaubwürdig bewertet wurden und einen einstellungsfördernden Effekt bei der Wahrnehmung des Unternehmens bewirkten. Dies lag unter anderem daran, dass die angeführten Evidenzen die Voreinstellungen der Rezipienten bestätigten. Hieraus kann geschlussfolgert werden, dass Evidenzen die Glaubwürdigkeit von strategisch-persuasiver Kommunikation und folglich auch die des Unternehmens unterstützen, sofern die Beweise eindeutig relevant für die Behauptungen sind und die bereits bestehende Einstellungen unterstützen.

Weiterführende Forschung sollte bei der Untersuchung der Effektivität des Einsatzes von Evidenzen somit einen zentralen Fokus auf die Rolle von relevanten Voreinstellungen bei der Glaubwürdigkeitsausbildung legen, um somit praxisrelevante Handlungsempfehlungen für den Einsatz von Evidenzen im postfaktualen Zeitalter aussprechen zu können.